Wir waren in Genf!

Auch Eltern aus Hessen waren in Genf bei der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-BRK.

Bei der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat Deutschland ein desaströses Bild abgegeben. Im Protokoll der Sitzung ist nachzulesen, wie im Saal mehrfach die Stimmung kippte und heftiger verbaler Schlagabtausch die diplomatische Atmosphäre unterbrach. Die Mitglieder des UN-Fachausschusses vermissen vor allem wirksame Schritte zum Abbau von Sonderinstitutionen für Menschen mit Behinderung, wie Wohnheimen, Werkstätten und Sonderschulen. Fassungslosigkeit löste die Behauptung des Vertreters der deutschen Kultusministerkonferenz aus, dass Förderschulen Bestandteil eines inklusiven Schulsystems seien (und deswegen nicht abgebaut werden müssten).

Die Vertreterinnen* der Bundesregierung haben dazu geschwiegen und so diese abseitige Behauptung mitgetragen. Der Bund hält international den Kopf hin für die Weigerung vieler Bundesländer, ein inklusives Schulsystem aufzubauen. Er tut das, obwohl man dort bis in die Spitze der Ministerien weiß und in Gesprächen in kleinem Rahmen auch zugibt, dass inklusive Bildung der Schlüssel für Bildungschancen und Teilhabe junger Menschen mit Behinderung ist – und letztlich für eine inklusive Gesellschaft. Die Bundesregierung hält sich zurück, weil sie den Konflikt mit den Ländern scheut. Das funktioniert politisch so lange, wie die Medien das Thema ignorieren und die Zivilgesellschaft ruhig bleibt.

Dabei ist die Verweigerung des inklusiven Schulsystems längst bundespolitisch relevant. Der Bund ist verantwortlich für die Einhaltung internationaler Verträge wie der UN-Behindertenrechtskonvention. Überdies ist der Bund nach Artikel 72 des Grundgesetzes verantwortlich, den Menschen überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu garantieren. Für Familien mit Kindern mit Behinderung hält der Bund diesen Grundsatz nicht ein. Wir können nicht in ein anderes Bundesland etwa von Bremen nach Bayern umziehen, ohne für unser Kind die Beendigung der inklusiven Schulzeit in Kauf zu nehmen. Es bleibt Aufgabe der Länder, endlich inklusive Schulpolitik zu machen. Aber es ist nach 14 versäumten Jahren die Aufgabe des Bundes, dafür einen klaren Rahmen zu setzen. (https://www.inklusions-pegel.de/august2023)

Hier der Link zum Interview mit den Vertreterinnen des Deutschen Instituts für Menschenrechte: ( https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/staatenpruefung-foerderschulen-widersprechen-der-un-behindertenrechtskonvention/)

Beeindruckend war das Eingangsstatement von Prof. Markus Schefer, der der deutschen Delegation vorhielt, die UN-BRK schlicht nicht verstanden zu haben und  der deutschen Delegation die mit der fehlenden Umsetzung der UN-BRK verbundene Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde nochmals veranschaulichte.

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Einige Mitglieder des Fachausschusses kamen auch zu uns zum Gespräch, sie brachten ihre Fassungslosigkeit zum Ausdruck, dass Deutschland als demokratischer Staat mit einer auf den Menschenrechten verankerten Verfassung und Vorbild bzw. mit Vorreiterrolle für viele andere Länder der Welt seit 2015 keine Fortschritte gemacht hat, sondern sein vielfältiges Sondersystem mit fadenscheinigen Argumenten verteidigt. Aus Hessen haben wir von der kreativen Umnutzung des Elternwahlrechts durch Mitglieder der Schulverwaltung berichtet: Anstatt Inklusion als Regelfall umzusetzen und die angemessenen Vorkehrungen dafür zu treffen, wird die Förderschule den betroffenen Eltern regelmäßig als alternativlos dargestellt, um sie damit "freiwillig" zur Wahl der Förderschule zu zwingen. Und wir haben den Neubau der Förderschule in Darmstadt als negatives Beispiel kritisiert, eine Sonderschule weit weg von gesellschaftlicher Teilhabe in einem Autobahndreieck.

Wir warten nun auf die Empfehlungen des UN-Fachausschusses und bleiben als bundesweite Initiative gerade auch auf Bundesebene weiter dran. Wir beteiligen uns auch beim Bündnis "Schule muss anders" (https://schule-muss-anders.de/bildungsprotest-2023).

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