VGH Kassel bestätigt das Recht auf bestmögliche Bildung für ein Kind mit Behinderung

[Pressemitteilung vom 10. September 2020]

Mit seinem Beschluss vom 8.9.2020 macht der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel deutlich, dass einem Kind nicht pauschal aufgrund einer bestimmten Behinderung der Zugang zu einem besseren Bildungsgang verweigert werden darf (Az. 7 B 1568/20).

Die Schule hatte den 11-jährigen Schüler mit Down-Syndrom gemäß Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ beschult und ihm die beantragte Hochstufung in den Bildungsgang „Lernen“ verweigert, obwohl er mit einem nachgewiesenen IQ von 81 das Leistungspotenzial für diesen Bildungsgang mitbringt.

Die Richter machten in ihrem Urteil nun deutlich, dass das Vorliegen einer typisierten Behinderung die Schulbehörde nicht dazu verleiten darf, ohne weitere Feststellungen vom Vorliegen einer geistigen Behinderung auszugehen.

Insbesondere kann aus dem Umstand, wonach beim Antragsteller eine sog. Trisomie 21 vorliegt, nicht ohne weiteres abgeleitet werden, er sei im schulrechtlichen Sinne geistig behindert,

so stellte das Gericht fest.

Der Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ ist nach dem Schulrecht in Hessen für „Kinder und Jugendliche mit geistigen Behinderungen“ vorgesehen (§ 50 Abs. 3 HschG). Für die Zuordnung der Schüler*innen mit Behinderungen zu diesem Förderschwerpunkt gilt seit Juli 2019 ein Erlass, der den Lehrkräften Empfehlungen sowie einen festen Kriterienkatalog an die Hand gibt, ab wann ein*e Schüler*in im sonderpädagogischen Sinne als „geistig behindert“ einzustufen ist. Diesen Erlass hatte die Schulbehörde jedoch nicht beachtet:

Es fehlen hinreichende Darlegungen des Antragsgegners, wieso trotz dieser Feststellungen ein IQ-Wert des Antragstellers von unter 70 vorliegen soll.

Das Gericht verweist auch noch einmal auf seine eigene Rechtsprechung, wonach die Vermutung, das Kind könne nie einen Schulabschluss erreichen, kein Grund ist, den Bildungsgang „Lernen“ vorzuenthalten.

Der Verwaltungsgerichtshof folgt damit dem Tenor der Rechtsprechung im Fall Nenad in NRW: Die Bestimmungen des Schulrechts dienen dazu, jedem die seinen Fähigkeiten entsprechende bestmögliche Bildung zukommen zu lassen. (Landgericht Köln, 5 O 182/16, RN 31)

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