Das Jugendamt in Kreis Bergstraße kürzt pauschal die notwendigen Hilfen zur Teilhabe an Bildung und behindert damit die Betroffenen in der Inklusion in Schule

Das Jugendamt in Kreis Bergstraße entzieht den Kindern und Jugendlichen mit Behinderung neuerdings pauschal 20% der ihnen zustehenden individuellen Hilfe zur Teilhabe an Bildung. Die von ihm herausgegebenen „interne Papier“ mit dem Titel „Kriterien der Bewilligung von ambulanten Leistungen der Eingliederungshilfe (EGH) für Kinder und Jugendliche mit Behinderung nach SGB VIII und IX im Jugendamt Kreis Bergstraße“ hat nach unserem Verständnis die Funktion einer Verwaltungsanweisung: Die Mitarbeitenden der Verwaltung müssen sich in der Regel daran gebunden fühlen und Entscheide entsprechend erstellen.

Die Vorgaben des Jugendamtes an seine Mitarbeitenden laufen in weiten Teilen aber den Grundsätzen des Sozialrechts zuwider, nach denen der Hilfebedarf unverzüglich im Einzelfall ermittelt und die notwendige Leistung dann ohne Kürzung bedarfsdeckend bewilligt werden muss. Das Jugendamt plant damit seine Hilfen „wirtschaftlich effektiver zu steuern“, d.h. es will nur Kosten sparen. Von ersten Stundenkürzungen fürs neue Schuljahr haben wir bereits Kenntnis.

Statt seiner Verpflichtung nachzukommen und die Hilfe zur Teilhabe an Bildung individuell und bedarfsdeckend zu gewähren (§ 112 und § 117 bis 121 SGB IX), lässt das Jugendamt die betroffenen Kinder also teils OHNE die Hilfe zurück, auf die sie einen Rechtsanspruch haben. Das ist diskriminierend. Damit bereitet der Kreis Bergstraße ausgerechnet denjeni-gen Eltern unnötige und zusätzliche Probleme, die ohnehin schon stark belastet sind.

In dem benannten Papier finden sich u.a. folgende Aussagen:

Umfang der THA: Maximal 80% der Unterrichtszeit (nach Stundentafel) befristet auf ein Schuljahr. (20% werden hier als regelhafte Leistungen der Schule im Rahmen ihres Inklusionskonzeptes vorausgesetzt)
Ergänzung für SGB VIII: Auftrag an LE, die Handlungsziele so zu erarbeiten, dass Leistung stufenweise reduziert werden kann: 1. Bewilligung 80% 2. Bewilligung 70% 3. Bewilligung 60% 4. Bewilligung 50%

Diese Aussagen sind falsch: Eine pauschalisierte Bewilligung von nur 80% der Leistung ist rechtswidrig. Die Leistung muss in jedem Einzelfall bedarfsdeckend und personenzentriert bewilligt werden. Es besteht ein Rechtsanspruch auf die vollumfängliche Leistung für jedes einzelne Kind. Vgl. die laufende Rechtsprechung: Bei der Gewährung der Hilfe liegt ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"). (Bundessozialgericht, Urteil vom 18.07.2019 - B 8 SO 2/18 R)

Eingliederungshilfe ist nicht ersetzend, sondern kann nur ergänzend zu den Unterstützungsangeboten der Schulen im Rahmen der Inklusion mitwirken.

Das ist falsch. Die Eingliederungshilfe ist eine Leistung, die den individuellen Hilfebedarf des Kindes so weit abzusichern hat, dass dieses Kind an Bildung in Schule teilhaben kann. Die Eingliederungshilfe ist eine eigenständige Leistung, der Leistungsumfang ist durch die Rechtsprechung geklärt (Bundessozialgericht, 18.07.2019 - B 8 SO 2/18 R/BSG vom 21.09.2017 - B 8 SO 24/15 R …). Die Schulbehörde hat dagegen die (sonder)pädagogische Förderung sicherzustellen. Der individuelle Hilfebedarf des Kindes ist also keineswegs gleichzusetzen mit dem (sonder)pädagogischen Förderbedarf seitens der Schule.

Bei inklusiver Beschulung: Einschätzung der Schule, ob schulischer Bedarf des Kindes/Jugendlichen inklusiv umgesetzt werden kann oder ob aus schulischer Per-spektive eine Förderschule zielführender ist.

Das ist falsch: Die Schule hat nicht einzuschätzen, ob die "Förderschule zielführender" ist. Das Hessische Schulgesetz schreibt die inklusive Beschulung in der allgemeinen Schule als Regelform vor (§ 51 Abs. 1 HSchG). Auch der Kreis Bergstraße ist nach UN-BRK verpflichtet unter Ausschöpfung der verfügbaren Mittel die inklusive Beschulung umzusetzen (vgl. Art. 4 UN-BRK). Plant Kreis Bergstraße das hessische Schulrecht auszuhebeln?

Ergibt die Bedarfsprüfung den Einsatz einer FSJ-Kraft, erfolgt die Finanzierung der Leistung pauschaliert ohne Reduktion des Stundenumfanges

Das ist eine unzulässige Vermischung von zwei verschiedenen Aspekten: Die Bedarfsprüfung hat zunächst den individuellen Hilfebedarf des Kindes/Jugendlichen festzustellen. Daraus ergeben sich Teilhabe- und Handlungsziele nach dem Gesamtplanverfahren, keineswegs ergibt sich daraus, dass pauschal eine FSJ-Kraft eingesetzt werden könnte. Wir erinnern an den Beschluss des Landessozialgerichtes vom 2.5.2016 gegen den Kreis Bergstraße (L4 SO 227/15 B ER), nach dem der Kreis verpflichtet wird, statt der nicht zumutbaren FSJ-Kraft die Kosten für eine angelernte Assistenzkraft zu übernehmen, um den notwendigen Hilfebedarf zu decken. Geht es nun bei Ihnen einen Schritt zurück?

… in Grundschulen sowie 5. + 6. Klasse: ... Kind startet ohne THA, da der Einsatz der schuleigenen Instrumente vorrangig zu prüfen ist und diese abgewartet werden Kind startet ohne THA, da der Einsatz der schuleigenen Instrumente vorrangig zu prüfen ist und diese abgewartet werden. Auch hier ist eine Beteiligung der EGH am Förderausschuss der Schulen einzufordern, so dieser einberufen wird.

Das ist falsch: Die Eingliederungshilfe hat den Bedarf nach Antragstellung unverzüglich und fristgerecht zu ermitteln und die notwendige Hilfe umgehend zu leisten. Vgl. u.a. § 120 Abs. 4 SGB IX: "Im Eilfall erbringt der Eingliederungshilfeträger die Leistungen vor Beginn der Gesamtplankonferenz vorläufig; der Umfang der vorläufigen Gesamtleistung bestimmt sich nach pflichtgemäßen Ermessen." Wenn der Bedarf in der ersten Klasse vor-liegt, dann muss auch die Eingliederungshilfe gewährt werden – umgehend, nicht nach „abwarten“!

Eine Beteiligung der Eingliederungshilfe am Förderausschuss ist im Hessischen Schulgesetz nicht vorgesehen. Nach § 54 Abs. 3 Pkt. 5 HSchG gilt eine Anwesenheit nur für den Schulträger, „wenn der Unterricht in der allgemeinen Schule besondere räumliche und sächliche Leistungen erfordert.“

Dr. Dorothea Terpitz

  1. Vorsitzende Gemeinsam leben Hessen e.V.

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