Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich aktiv um die volle gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bemüht. Die UN-Konvention verpflichtet zur Anpassung der Gesetzgebung und der Strukturen in Verwaltung und öffentlichem Leben. Die Inklusion als Leitidee bezieht sich auf alle Lebensbereiche und auf jedes Individuum. Jeder Einzelne hat das Recht auf vollen, gleichwertigen Zugang zu unserer Gesellschaft, niemand wird ausgegrenzt, Verschiedenheitwird als normal empfunden.

Dabei dürfen jedoch Normalität und Gleichwertigkeit nicht falsch verstanden werden, es handelt sich nicht um eine Form der Gleichmacherei, eine inklusive Gesellschaft lebt vielmehr gerade durch ihre Vielfältigkeit. Inklusion heißt nicht, wie vielerorts angenommen wird, dass ein paar behinderte Kinder jetzt die Regelschulen besuchen dürfen. Inklusion bedeutet Nicht-Ausgrenzung, Respekt und Toleranz dem anderen Gegenüber, das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe, ohne aufgrund von Behinderung benachteiligt zu werden.

Und das ist keineswegs neu! Dafür hätte es nicht einmal der UN-BRK bedurft! Denn das steht seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1948 im Grundgesetz.

In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Möchten wir nicht selbst die Möglichkeit haben, unsere eigenen Potentiale zu entwickeln, möchten wir nicht selbst mit unseren Meinungen und Einschränkungen akzeptiert werden? Es entspringt unserer demokratischen Grundkultur und der Idee des Sozialstaates, dass wir in unserer modernen Gesellschaft niemanden ausgrenzen oder gar zurücklassen dürfen. Eine gewisse Vorstellung von Inklusion steckt also bereits in jedem von uns, und doch ist im Alltag vieles noch nicht so, wie es sein sollte. Anträge und Formulare im Amt sind nicht für jeden verständlich, öffentliche Einrichtungen nicht überall problemlos mit dem Rollstuhl erreichbar, nur um einpaar dieser alltäglichen Barrieren zu aufzuzählen. Wollen wir aber wirklich Inklusion im Sinne der UN-Konvention, müssen wir umdenken. Der Behinderungsbegriff selbst hat sich bereits gewandelt. Als medizinischer Begriff bezog er sich ursprünglich auf Personen, die eine körperliche, geistige und/oder seelische Beeinträchtigung haben. Die UN-Konvention definiert diesen Begriff jetzt aber neu. Danach erfolgt Behinderung auch von der Gesellschaft her, wenn sie durch ihre Einstellungen und Barrieren die jeweils betroffene Person behindert. Es geht also nicht nur um "behindert sein", sondern gerade auch um das "behindert werden". Das wiederum können wir beheben, indem wir unser Verhalten ändern. Denkt man diesen Gedanken konsequent zuende, bezieht sich die Vorstellung von Behinderung dann nicht nur auf die immedizinischen Sinne "Behinderten", sondern schließt alle mit ein, die - aus welchen Gründen auch immer - an der gleichberechtigten Teilhabe in unserer Gesellschaft gehindert werden. Die Inklusion von Menschen mit körperlichen/geistigen/seelischen Behinderungen stellt die größte Herausforderung an uns alle dar. Wir dürfen dabei aber trotzdem nicht die anderen Menschen vergessen, die durch Migrationshintergrund, Armut, fehlende Bildung oder niedrige soziale Herkunft schnell an den Rand gedrängt werden.

Die Idee der Inklusion erfordert den Einsatz aller. Inklusion ist der Auftrag an Alle, d.h. an jeden Einzelnen von uns, sich immer wieder darum zu bemühen, aktiv Barrieren abzubauenund Möglichkeiten zur Teilhabe aufzubauen. Es ist eine Frage der Gewohnheit, ob man den Umgang mit dem Andersartigen als normal empfindet und Vielfalt tatsächlich leben kann. Inklusion muss wachsen, die Idee muss in die Gesellschaft hineingetragen werden, um sinnvoll und nachhaltig Früchte zu tragen. Beim Thema Inklusion im allgemeinen ist oft nur Schule und Bildung gemeint, denn beides besitzt einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, die staatlichen Strukturen sind dort besonders ausgeprägt und daher auch besonders schwer zu verändern. Das zweigeteilte System in Regel- und Förderschule (früher noch zutreffender "Sonderschule" genannt) ist hier außerdem noch konsequenter als in anderen Bereichen durchorganisiert. Die betroffenen Eltern haben es oft sehr schwer gegen das jahrzehntelange getrennt laufende staatliches System ihren Wunsch von der Teilhabe ihrer Kinder, das gemeinsame Lernen durchzusetzen. Es fällt vielen Familien auch schwer, ihre eigenen Vorstellungen als Privatpersonen selbstbewusst gegen die "Obrigkeit", nämlich die Behörde, zu vertreten. Hier hat der Staat mit der Änderung des hessischen Schulgesetzes von 2012 bereits ein Zeichen gesetzt und einen Wandel eingeleitet. In allen anderen Lebensbereichen müssen wir uns aber ebenso auf den Weg machen und sind als verantwortungsbewusste Bürger selbst gefordert, etwas zu tun. Wir müssen uns ändern, umdenken und aktiv daran mitwirken, unsere Gesellschaft lebenswerter zu machen.

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag